„Preiswerte Bibeln für alle!“ – das war das Ziel des Carl Hildebrand Freiherr von Canstein Ende des 17. Jahrhunderts. In der Bibel las dieser vornehme Adlige: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit“ (Kol. 3,16). Dies verstand er als eine Aufforderung, den noch zu seiner Zeit herrschenden Missstand zu bekämpfen, dass es die Bibel zwar in einer gut verständlichen Übersetzung Martin Luthers gab, sie aber so teuer war, dass nicht einmal der fromme, bildungshungrige Bürger sich eine hätte leisten können; vom armen Menschen ganz abzusehen.
Doch wer war dieser Freiherr von Canstein?


Der Kampf um das Überleben – das 20. Jahrhundert

1910 kann die Bibelanstalt ihr 200jähriges Bestehen feiern. Sie ist selbstständig und besitzt genügend eigenes Kapital. Doch nach dem ersten Weltkrieg (1914 – 1918) wird auch sie von der Wirtschaftskrise betroffen und steht vor dem Aus. So wird sie 1938 mit der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft, Berlin, vereinigt, um auf diese Weise wenigstens ihr Überleben zu sichern. Die Firmenname lautet von da an „Preußische Haupt-Bibelgesellschaft und von Cansteinsche Bibelanstalt“.
Nach dem 2. Weltkrieg führt die Teilung Deutschlands dazu, dass die Arbeit der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft, inzwischen „Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft zu Berlin“ in den westlichen ehemals preußischen Provinzen Westfalen und Rheinland erheblich erschwert wird. So wird 1951 beschlossen, dass der Doppelname wieder geteilt wird. In Westfalen erfolgt eine Neugründung unter dem Namen „von Cansteinsche Bibelanstalt“ für die Arbeit in westlichen Teilen Deutschlands und Westberlins (von Cansteinsche Bibelanstalt in Westfalen e.V. – www.werkstatt-bibel.de). Im Osten wirkt bis 1989 die Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft. Nach der Wiedervereinigung tragen beide Bibelanstalten in ihren Namen das Cansteinsche Erbe weiter.
Zu Beginn des Jahres 2005 musste die traditionsreiche Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft aus finanziellen Gründen aufgelöst werden. Damit stand auch ihre Tochtergesellschaft, die von Cansteinsche Bibelanstalt zu Berlin, vor dem Aus.
Berlin als ein bedeutsamer Standort der ältesten Bibelgesellschaft der Welt erschien jedoch als unverzichtbar. Deshalb wurde die „von Cansteinsche Bibelanstalt in Berlin e.V.“ noch im gleichen Jahr 2005 neu gegründet.
Zur Zeit befindet sie sich mit den Räumen des Berliner Bibellabors in der Philipp-Melanchthonkirche in Neukölln.


Die Verbreitung der Canstein-Bibeln

1712 erscheint die erste Auflage des Neuen Testamentes mit 5000 Exemplaren. Ein Neues Testament kostet 2 (Silber-)Groschen. Weitere Auflagen folgen in raschem Tempo, und im folgenden Jahr erscheint auch die erste ganze Bibel. Nach langem Verhandeln hatte man sich für eine Hausbibel – also in einem etwas größeren Format – entschieden, so dass der Preis auf 10 Groschen angesetzt werden musste. Einige Jahre später, als genügend Blei für einen Stehenden Satz hatte beschafft werden können, wird auch die ganze Bibel in diesem modernen Verfahren gedruckt. Sie erscheint 1722 – drei Jahre nach Cansteins Tod – und kann für 6 Groschen verkauft werden.
Bis 1719 können über 100.000 Neue Testamente und 80.000 Vollbibeln gedruckt werden und ähnlich geht es auch weiter. Um 1800 sind über 2,7 Millionen gedruckte Neue Testamente und Vollbibeln gedruckt. Die Bibelanstalt trägt wahrlich dazu bei, die Bibel unter dem Volk zu verbreiten.


Von der Vision zur ersten Bibelgesellschaft

Am 1. März 1710 veröffentlicht Carl Hildebrand von Canstein eine kleine Schrift mit dem Titel: „Ohnmaßgeblicher Vorschlag, wie Gottes Wort denen Armen zur Erbauung um einen geringen Preis in die Hände zu bringen (sei)“. Die Idee ist einfach: Der Bibeldruck war so teuer, weil mangels genügend Blei-Lettern immer nur wenige Seiten gleichzeitig gesetzt werden konnten. Nach dem Drucken dieser Seiten musste man den Satz wieder auseinander nehmen und die nächsten Seiten neu zusammensetzen. Canstein will so viel Geld durch Spenden eintreiben, dass die Lettern für alle Seiten der Bibel auf einmal hergestellt werden können. Dann müsste man sie für weitere Auflagen nicht immer wieder neu setzen, sondern sie wären sofort verfügbar: So würden die Druckkosten sehr viel geringer ausfallen. Nur das benötigte Anfangskapital für einige Tonnen Blei war enorm.
Von Canstein selbst spendet beachtliche Summen; aber auch von anderen Seiten kommt Geld, so dass eine Bibelanstalt für diesen Zweck in Halle ins Leben gerufen wird und noch im Oktober 1710 das erste Monatsgehalt für ihren Leiter bezahlt werden kann. Die erste Bibelgesellschaft der Welt ist gegründet! Nach Cansteins Tod wird sie seinen Namen tragen.


Carl Hildebrand von Canstein

Carl Hildebrand von Canstein wird am 4. August 1667 auf dem Gut Lindenberg im Brandenburgischen Landkreis Beeskow geboren. Schon mit 12 Jahren verliert er seinen Vater. Als seine Mutter stirbt, ist Carl Hildebrand 27 Jahre alt. Eine seiner Schwestern erbt das Landgut. Carl Hildebrand promoviert als Jurist an der Landesuniversität Frankfurt (Oder) und bereist im Anschluss daran Europa.
Es ergibt sich, dass er dann in den Hofdienst tritt und einige Jahre als Kammerjunker im Berliner Schloss arbeitet. Als Freiwilliger nimmt er am flandrischen Feldzug teil, erkrankt auf dieser Reise jedoch schwer an der Roten Ruhr. Den Tod vor den Augen gelobt er, zukünftig durch sein Leben Gott zu dienen.
Carl Hildebrand von Canstein kündigt daraufhin den Heeres- und Hofdienst und setzt sich zunächst für die Erhaltung des Landbesitzes in Brandenburg und Westfalen ein. Er wohnt in der Spandauer Straße im Zentrum der königlichen Residenz. Bedeutsam für sein weiteres Leben wird die Bekanntschaft mit Philipp Jacob Spener, Propst an St. Nicolai zu Berlin. Dieser wird für ihn ein „geistlicher Vater“. Carl Hildebrand fängt an, in der Bibel zu lesen. Vor allem die Schriften des Neuen Testamentes sprechen ihn an.
Durch Spener lernt er auch August Hermann Francke kennen. Was Francke in Halle (Saale) tut, beeindruckt Canstein zutiefst: Hier sieht er, dass Leben und Werk eines Menschen tatsächlich zur Ehre Gottes dienen. Die Idee, dass das Drucken von Bibeln billiger werden muss, wird geboren